Beharrlicher Revoluzzer der Alpenküche

Norbert Niederkofler im Interview

       

Norbert Niederkofler ist der einzige Dreisternekoch Südtirols – und der kulinarische Revoluzzer der Dolomiten. Aus Überzeugung hat sich der gebürtige Ahrntaler von der klassischen Haute Cuisine losgesagt und mit einzigartiger Beharrlichkeit der alpinen Küche zum Durchbruch verholfen. Sein „Cook the Mountain“-Konzept ist radikal regional, saisonal und nachhaltig.


CC: Sie waren im Rosa Alpina jahrelang mit klassischer Haute Cuisine erfolgreich und hatten zwei Sterne. Wieso haben Sie das alles aufs Spiel gesetzt?

Niederkofler: Wir haben damals wirklich alles an Produkten, die Gott verboten hat, nach Südtirol eingeflogen. Dann habe ich mir Gedanken gemacht und über ein Jahr hinweg unsere internationalen Gäste gefragt, was sie von uns erwarten. Eigentlich machte es ja keinen Sinn, dass wir ihnen zu essen geben, was sie in New York, Tokio oder London auch bekommen würden. Also habe ich 2008 das Konzept „Cook the Mountain“ geschrieben. Aber es hat vier bis fünf Jahre gebraucht, um die Versorgungskette mit inzwischen rund 50 Bauern aus der Gegend für so eine radikal nachhaltige, regionale und saisonale Küche aufzubauen, in der wir beispielsweise nicht mal Olivenöl verwenden und in der es im Winter auch keinen Salat gibt, weil unsere Bauern keine Gewächshäuser nutzen.


Wie wichtig sind die Lieferanten für Ihre Küchenphilosophie?

Sehr wichtig. Wir haben immer auf Augen- höhe zusammengearbeitet. Und es ist extrem wichtig, unseren Gästen auch deren Story zu erzählen. Das spiegelt sich auch in meinem neuen Buch wider. In „Cook the Mountain – The nature around you“ erzähle ich mehr von den Bauern als über mich.


Haben Sie nie an Ihrer Kehrtwende gezweifelt?

Ich bin im Ahrntal geboren. Wir sind schon Sturschädel. Aber es war ein harter Weg. Zwischendurch haben mich Kritiker, diees durchaus gut mit uns meinten, gewarnt. Ein Insider hat mir sogar mal eine Mail geschrieben: „Du wirst Probleme bekommen und den zweiten Stern verlieren“. Ich habe sie meinem Team vorgelegt. Alle haben sie zerrissen, und wir haben gemeinsam entschieden, den Weg weiterzugehen. Und hatten dann doch Erfolg. 2017 bekamen wir den dritten Stern als erstes Restaurant weltweit, das komplett nachhaltig arbeitet. Ich habe zwar nichts neu erfunden, ich habe es aber konsequenter umgesetzt. Und das wurde auch von Guide Michelin wertgeschätzt, nachdem auch dort ein Umdenken eingesetzt hatte.


Ist mit dem dritten Stern ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen?

Irgendwann mal drei Sterne zu erkochen war schon mein Ziel. Aber das war eine Teamleistung. Ohne Teamarbeit wäre ich nie so weit gekommen.


Waren Sie immer schon ein Teamplayer?

Schon. In meiner Jugend bin ich Ski- Abfahrtsrennen gefahren. Das war eine unglaublich schöne und lehrreiche Zeit. Ich kam durch das Training und die Rennen ein wenig herum und wurde selbstständiger. Das Skifahren hat mich auch gelehrt, mit Siegen und Nieder- lagen umzugehen. Und, dass du es als Einzelsportler zwar am Ende allein schaffen musst, aber ohne ein gutes Team nichts bist. So ist das auch als Koch.


Stimmt es, dass Sie wegen Ihrer Skileidenschaft ihre Ausbildungsplätze als Koch auch danach ausgesucht haben, wo gute Skigebiete sind?

Ja, tatsächlich. So bin ich nach Lech, Aspen und Alaska gekommen. Aber ich war schon auch bei Top-Köchen wie Alfons Schubeck, Jörg Müller, David Bouley oder meinem großen Vorbild Eckart Witzigmann.


Finden Sie immer noch Zeit, um Skifahren zu gehen?

Wenn ich zum Beispiel am Kronplatz im AlpiNN bin, gehe ich gerne schon mal mit meinem zehnjährigen Sohn auf die Pisten. Am liebsten auf die steilen und langen Abfahrten. Das Panorama dort ist fantas- tisch, mit den Dolomiten auf der einen und dem Alpenhauptkamm auf der anderen Seite. Rund um St. Kassian lockt mich vor allem die ebenfalls steile Gran-Risa-Weltcup- Riesenslalomstrecke in Alta Badia oder die Weltcup-Abfahrt im Grödnertal.


Geben Sie immer noch Gas auf der Piste?

Ich bin ich ein Schönwetterfahrer geworden, aber wenn ich fahre, dann richtig!


Apropos richtig: Die Südtiroler scheinen einiges richtig zu machen. Ihre Region gehört heute zu den Top-Genießerzielen in Europa. Wer gab die Initialzündung?

Winzer wie Alois Lageder. Dass sie anfingen statt Massen- erstklassige Qualitätsweine auszubauen, hat die Genießer angezogen. Auf deren Nachfrage haben dann die Restaurants reagiert. Südtirol hat sich inzwischen extrem gut entwickelt. Wir haben tolle Produkte, erstklassige Winzer und sehr gute Restaurants mit der gesamte Palette von der Hütte bis zum Sternerestaurant.