Hudson Valley: Der Broadway liegt in Tivoli
Gilded Age, Genussregion und grüne Lunge
Dutchess County im Hudson Valley ist nur 90 Minuten von New York City entfernt und verbindet charmanten Lifestyle mit faszinierender Geschichte.
Die stehen an den schönsten Plätzen des Dutchess County: die National Historic Sites – in Stein gemeißelte und mit Glitter, Glamour und historischem Storytelling glanzvoll aufpoliert Zeugen einiger der schillerndsten Epochen der Vereinigten Staaten. Und sie erzählen von der holländischen Besiedlung, vom Gilded Age oder erlauben einen Blick auf das Leben der Roosevelts. Letztendlich sind sie aber nur einer von vielen Gründen für eine Reise ins Dutchess County, einer landschaftlich und historisch faszinierenden Region im Hudson Valley.
Nach dem Bürgerkrieg kam es hier zu einem ungeheuren Wachstumsschub – technologisch, industriell und gesellschaftspolitisch. Tycoons wie Cornelius Vanderbilt, J. P. Morgan, John D. Rockefeller und andere nutzten den frischen Wind – befeuert durch einen nicht versiegenden Immigrantenansturm – und erwarben mit der Gründung von Eisenbahnen, Banken und landwirtschaftlichen Großbetrieben Reichtümer, die sie alsbald in einen luxuriösen Lifestyle investierten. Wochenendpartys mit endlosen Gästelisten aus Schön und Reich, Pferdegestüte, Salons, Tennisplätze und Swimmingpools inklusive.
Der Prozess des „Vergoldens“ eines Objekts gab der Zeit zwischen 1870 und dem Beginn des 20. Jahrhunderts ihren Namen: Gilded Age. So manche aus dem Establishment betrachteten in dieser Epoche die Neuaufsteiger-Dynastien mit Skepsis. In ihren Augen waren sie nichts als Parvenüs, die in extravaganten Palästen hausten, kostspielige Bälle schmissen und ihr Geld dazu nützten, sich als schillernde Prominente in die Gesellschaftsspalten der großen Zeitungen einzukaufen.
Diese Geschichte über amerikanische Visionäre – und ihr Ende – ist nicht nur aktuell, sie lässt sich auch leicht persönlich kennenlernen, weil sie nur 90 Minuten von New York City entfernt spielt und sogar mit der Bahn gut erreichbar ist. Das Dutchess County ist ein entspannender Kontrast zur Stadt, die niemals schläft. Spannend? Ja! Entspannend? Ja! Denn neben einer Zeitreise in die amerikanische Geschichte lockt diese Insider-Destination heute auch Foodies aus aller Welt mit innovativen lokalen Genüssen „from farm to table“, liebevollen Boutique-Hotels und einem umwerfenden landschaftlichen Taktgeber: dem Hudson River, der majestätisch, ruhig und gelassen als prägende Lebensader durchs Land fließt.
Die Qual der Wahl
Dutchess County ist ein Paradies für Feinschmecker, mit einer großen Auswahl an Angeboten für Gourmets: Bauernmärkte, Feinschmeckerrestaurants, Weingüter und lokale Brennereien. An der Spitze der kulinarischen Szene steht folgerichtig genau hier das Culinary Institute of America (CIA), die führende amerikanische „Kochschule“ – oder besser gesagt: DIE universitäre Ausbildungsstätte für die zukünftigen Nachfolger von Paul Bocuse & Co.
Was für ein Spaß, durch die Gänge des Instituts zu schlendern und durch die Fenster Studenten in weißen Kitteln und Kochmützen zu beobachten, die mit Verve Saucen umrühren oder Teig ausrollen. Danach noch im Institutsladen zu stöbern, der von Kochbüchern bis zu ausgefallenem Küchenhandwerk so ziemlich alles verkauft, ist ein Muss für Hobbyköche! Am Campus selbst führen Studenten durch ihren Hochschulalltag, lehren die Gäste auf Touren die Kunst des Schmeckens, Riechens und richtig Zubereitens. Außerdem gibt es vier öffentliche Restaurants mit studentischem Personal – je nach Lust und Laune und Vorreservierung (!) zwischen Apple Pie Bakery und Paul Bocuse angesiedelt, sind sie Botschafter der Kochkünstler von morgen. In dieser Brutstätte für Gourmettalente lässt man sich amerikanisch-locker auch gerne in die Töpfe blicken: bei Koch- und Backkursen, in denen einige der weltbesten Nachwuchsköche schon selbstbewusst den Löffel schwingen.
Und auch die Weinbegleitung passt: Das Valley am Hudson gilt als das erste Weinanbaugebiet der Vereinigten Staaten, mit entsprechend gut aus-gebauter Weinkultur.
Liebhaber von hochprozentigen Getränken kommen bei eigenwilligen Gastgebern auf ihre Rechnung. Beispielsweise in der Dassai Blue Sake Brewery: Frischwasser des Bundesstaats New York und Yamada Nikishi-Reis verbunden mit jahrzehntelanger Erfahrung führen hier zur Essenz von Junmai Daiginjo, dem Höchstmaß an Sake-Kunst. Gäste sind gerne zur Verkostung eingeladen.
Weiter nördlich im County sorgen hingegen andere große und kleine Erlebnisse für kulinarischen Glanz. Stopp am Montgomery Place Orchard-Farmstand: 70 verschiedene Apfelsorten werden hier von „vintage orchard“ produziert. Apfel-Cidre und Apfel-Donuts wandern gerne in den Einkaufskorb. Im charmanten Städtchen Rhinebeck mit seiner interessanten Siedlerhistorie – gegründet wurde es von Holländern im Jahr 1686 – lässt sich, umgeben von mehr als 30 Restaurants, Pubs und Cafés, nicht nur die historische Atmosphäre eines begehbaren Kleinstadt-Museums genießen, sondern in Samuel’s Sweet Shop auch gute, selbstgemachte Cookies, Espressi und Tees. Vor allem New Yorker schätzen den Luxus des nahegelegenen Mirbeau Inn & Spa – das beste Haus in Rhinebeck und perfekter Ausgangspunkt für Ausflüge in die kulinarische Welt der Farmen und Felder von Pleasant Valley, Clinton, Milan und Stanford – oder nach Tivoli. Das gleichnamige Hotel liegt am Broadway, genauer gesagt: 53, Broadway, aber man muss nicht lange suchen, der Broadway in Tivoli ist überschaubar.
Kein Vergleich mit Manhattan – auch wenn der großen Namensvetter herüberfunkelt. Fans des Broadway-Musicals „Hamilton“, das seit zehn Jahren im Theatre District gespielt wird, wissen, dass Aaron Burr hier im Dutchess County Zuflucht suchte, nachdem er Alexander Hamilton im Duell erschossen hatte. Hamilton selbst verbrachte 1788 einige Zeit im nahen Poughkeepsie, um im County Courthouse die New Yorker davon zu überzeugen, für die amerikanische Verfassung zu stimmen. Liebhaber des Broadway-Musicals „Hair“ besuchen das nahegelegene Woodstock. Und inspiriert von „Dear Evan Hanson“ können Musical-Kenner im Valley „den Appalachian Trail mit dem Fahrrad erkunden“ oder „ein Buch schreiben und Segeln lernen“. Am Broadway im Tivoli ist von der Glitterwelt Manhattans freilich nichts zu spüren.
Stattdessen haben sich das Künstlerpaar Helen und Brice Marden hier ein eklektisches Refugium für Genießer errichtet – ein Artwork bestehend aus Mobiliar, spektakulären Lichtobjekten und extravaganter Kunst. Highlight neben den schnörkellos-coolen Designzimmern ist ihr Restaurant The Corner, hochgelobt von der New York Times und deren Leserschaft für eine ehrliche und authentische Farm-to-Table-Küche mit saisonalen Höhepunkten und dem gut gelaunten Chefkoch Christopher Colby Miller.
Spaziergang durch US-Historie
Was machen „echte New Yorker“, wenn sie ihre Kalorien wieder abarbeiten wollen? Sie fahren aus der Stadt ins Hudson Valley, um die großartige Natur zu erkunden. Von allen Wander- und Reitwegen ist der „Walkway Over the Hudson“ absolute Pflicht – und definitiv ein Instagram-Motiv. Es ist die längste Fußgängerbrücke der Welt. Kajakfahren und Schwimmen in freier Natur, 75 Wanderwege und fast 200 Parks lassen das Herz jedes Naturliebhabers höher schlagen. Auch viele der malerischen Gärten eignen sich perfekt für ausgedehnte Spaziergänge. Der vielleicht schönste Garten liegt am Bard College in Annadale-On-Hudson. Zwischen den Catskill Mountains und dem Hudson River breitet sich auf fünf Kilometern die landschaftsarchitektonische Vision des Beaux-Arts-Meisters Francis Hoppin aus. Wie ein riesiger Saal ins Freie öffnet sich der freie Blick auf den Fluss, mehr als 300 Jahre alte Bäume stehen wachsam an dessen Seite.
Zurück im idyllischen Hyde Park zeigt Dutchess County seine eingangs erwähnte historische Seite: in den National und State Historic Sites. Dort können das Eleanor Roosevelt Cottage, Wohnsitz von Franklin D. Roosevelt – dem einzigen Präsidenten, der für vier Amtszeiten gewählt wurde –, und die FDR Presidential Library & Museum erkundet werden – Amerikas erste und einzige Präsidentenbibliothek, die von einem amtierenden Präsidenten genutzt wurde. Führungen durch die Anwesen des Hausherrn und der First Lady Eleanor geben einen guten Einblick in die Lebensumstände dieses außergewöhnlichen Paares. Ein ganz hervorragend gestaltetes Museum geleitet durch Börsencrash und Weltwirtschaftskrise, New Deal und den Zweiten Weltkrieg – bis zur Gründung der Vereinten Nationen.
Ein paar Autokilometer weiter gibt Vanderbilt Mansion, ein bedeutender gesellschaftlicher Treffpunkt der New Yorker High Society des späten 19. Jahrhunderts, Einblick in das Leben des amerikanischen Multimillionär-Paares Frederick und Louise Vanderbilt. Und während man sich gerade noch zwischen den Originalmöbeln der Superreichen des Gilden Age bewegt und den Millionaire’s View auf den Hudson genossen hat, wartet schon der nächste Höhepunkt mit Anekdoten auf – rund um die legendären „historischen“ Figuren Ogden Mills und seiner Frau Ruth Livingston Mills: Der kalifornische Goldgräber-Tycoon und seine Gattin nutzten Mills Mansion mit seinen 79 Zimmern lediglich als bescheidenen Landsitz – den Mills gehörten ja auch noch Anwesen in New York City, San Francisco, Newport und Paris. Eine Armee an Bediensteten hielt hier eine Art Downton-Abbey-Haushalt am Laufen: Das pinkfarbene Schlafzimmer von Misses Mill – originalgetreu erhalten – brachte es zu einiger Berühmtheit. Ihre Nachbarin und Zeitgenossin Louise Vanderbilt hingegen hatte wohl eine Vorliebe für die Opulenz des französischen Hofes. Wie in einem Puppenhaus richtete sie das 54-Zimmer-Anwesen im Beaux-Arts-Stil nach den Schlössern der französischen Könige Ludwig XIV., XV. und XVI. ein. Da ist es anderntags doch wieder aufregend kontrastreich und funky, im hypermodernen Museum Dia:Beacon zu landen. Eine der signifikantesten Sammlungen moderner Kunst, von den 1960er-Jahren bis heute, bereichert hier das 30.000 Quadratmeter große ehemalige Industrieareal am Ufer des Hudson. Wie immer im Dutchess County sind auch im quirligen Beacon Kultur und Genuss perfekte Gefährten: Galerien, Boutiquen und die diversesten kulinarischen Entdeckungen lassen die „#1 coolest small town in America“ zum idealen Endpunkt einer Entdeckungsreise den Hudson auf- und abwärts werden, bevor es danach wieder nach New York zurückgeht.